Lehrstunden
Die Szenen schienen alle irgendwie verzerrt.
Grau hockte im Auto, versuchte, ruhiger zu atmen und gegen seine Übelkeit anzukämpfen, während Geronimo unermüdlich auf ihn einredete und dauernd wiederholte: »Es ist ja nicht wichtig, was ich finde, aber wie du das Ding geschaukelt hast!«
Irgendwann sagte Grau heftig: »Verdammt noch mal, halt endlich die Schnauze!«
Die Welt schien stillzustehen, der Fahrer wurde blass und bewegte sich unruhig.
»Schon gut«, wisperte Geronimo kleinlaut. »Es ist nur die Aufregung, verstehst du? Wir hängen bis zur Unterlippe in der Scheiße, und du kommst und machst schwupp, und wir sind draußen. Mein Gott, wer bist du denn?«
Die Frage blieb unbeantwortet, da sich in diesem Moment das Funkgerät einschaltete und eine ruhige Stimme befahl: »Mit der Geschwindigkeit runter. Ihr habt Radarfallen in Höhe Spandauer Damm.«
Der Fahrer reagierte sofort, bremste, fädelte sich auf die rechte Fahrbahn ein und rollte sanft dahin.
Grau staunte. »Ihr hört den Polizeifunk ab.«
»Man tut, was man kann«, gab der Fahrer bescheiden zurück.
Dann kam eine neue Anweisung: »Auf sechzehn, bitte.«
Der Fahrer schaltete den Funk auf Kanal sechzehn und dieselbe Stimme befahl: »Zurück nach Hause, ohne Unterbrechung.«
»Idiotisch«, jammerte Grau. »Mir ist verdammt schlecht. Hast du so etwas wie einen Schnaps im Auto?«
»Ich habe keinen Schnaps. Halt an, Gonzales, halt an, da ist ein Kiosk. Was willst du denn für einen?«, fragte Geronimo fahrig.
»Etwas für den Magen«, nuschelte Grau.
Geschickt kletterte der massige Geronimo über Graus Schoß hinweg, öffnete die Wagentür und verschwand.
Der Peruaner auf dem Rücksitz atmete laut und hielt sich sein Bein.
»Es tut mir so leid«, entschuldigte sich Grau bei ihm, »ich werde für dich sorgen.«
Geronimo kam zurück, mit einer großen Flasche Magenbitter unter dem Arm. Er ließ Grau trinken und sah ihn so besorgt an wie ein väterlicher Arzt.
Grau war sofort leicht betrunken und wurde störrisch. »Ich will nach Hause«, reklamierte er.
»Erst zu Mehmet«, sagte Geronimo. Er hatte seine Befehle.
»Nach Hause«, beharrte Grau.
»Erst Mehmet«, wiederholte Geronimo sanft.
Grau legte den Kopf an Geronimos Schulter: »Macht doch, was ihr wollt.«
Er erkannte die Fassade von Mehmets Restaurant wieder und grinste kindisch, weil Geronimo ihn mit sich schleifte wie ein etwas zu groß geratenes Paket. Sie tauchten in die Dunkelheit des Eingangs, und dann war da eine dicke, kleine, alte Frau mit einem Kopftuch, die kräftig nach Graus rechter Hand griff und sie küsste.
»Was soll das?«, fragte Grau verwirrt.
»Wir lieben dich«, dröhnte Geronimo.
Ein paar Leute fingen an zu klatschen und schließlich klatschte das ganze Lokal. Es war berstend voll und die Frauen und Männer, die ihn anstrahlten, sahen aus wie Türken.
»Wie viel Uhr ist es denn?«, fragte er etwas töricht, nur um etwas zu sagen.
»Zehn Uhr, mein Freund.« Geronimo bahnte ihm den Weg durch die Menge.
»Wo ist denn Milan?«, wollte Grau wissen.
»Irgendwo hier«, sagte Geronimo. »Das ist auch so ein Sauhund. Da ist mein Chef: Mehmet.«
Der Mann war klein, sehr schmal, sah ein bisschen aus wie Omar Sharif, nur gesünder. Er fiel Grau um den Hals und die Umarmung fiel so heftig aus, dass Grau ins Straucheln geriet, stolperte und Halt suchend nach einer Stuhllehne griff.
»Sie hat der Himmel geschickt«, strahlte Mehmet. »Wir wollen uns bedanken.«
»Können Sie das auch noch später tun?«, fragte Grau gepresst. »Ich muss, ich muss … ich bin irgendwie …«
Jemand sagte in die plötzliche Stille: »Der Mann blutet. Da, er blutet.«
»Ich blute doch nicht!«, protestierte Grau. »Wo denn?«
Er hockte sich auf den Stuhl und dieselbe Stimme kam jetzt hektisch: »Na da, in der Taille. Mehmet, der braucht einen Arzt.« Es war die Stimme einer Frau.
Sie redeten alle wild durcheinander und Geronimo stellte sich neben Grau und bat: »Zieh mal das Hemd aus, los, zieh das Hemd aus.«
Er hob Grau leicht hoch und zog ihm das Hemd aus der Hose. Der Schmerz kam schneidend. »Scheiße!« Grau wurde heftig. »Wieso … ich meine, wieso habe ich da …« Er betrachtete die klaffende Wunde, die die Kugel in die Seite oberhalb des Hüftknochens gerissen hatte. Sie blutete stark. »Wieso habe ich das nicht gemerkt?«
»Du hattest keine Zeit, es zu merken«, sagte Milan neben ihm. »Das war der Südamerikaner, den du unbedingt verbinden wolltest.«
»He, Kumpel!« Grau war erfreut. »Bring mich hier raus, die sind doch alle verrückt.«
»Ja, ja, aber nett. Mehmet hat bestimmt einen Arzt an der Hand. Mehmet, der braucht erst mal Ruhe, verdammt noch mal!«
Die Bilder um Grau herum begannen zu tanzen, sehr viele Gesichter waren wie Fratzen ganz dicht vor ihm, jemand brüllte: »Nun lasst ihn mal durch, Leute!«
Dann verschwamm alles und er spürte, wie er hochgehoben wurde. Milan schrie zornig etwas, dann war es gespenstisch still und dunkel.
Grau wurde vor Schmerzen wach. Jemand tastete die Wunde ab und sagte: »Ruhig, ganz ruhig bleiben.« Dann spürte er einen Stich und dieselbe Stimme sagte: »Das ist ein Klacks, das brauche ich nicht mal zu nähen.«
Grau öffnete die Augen, sah aber nur eine weiße Wand, weil er auf der Seite lag. Er befand sich auf einem fremden Bett.
»Wie geht es Ihnen?«
»Es geht so«, stöhnte er.
»Sie werden keine Schmerzen mehr haben. Es ist nicht weiter schlimm, ein Streifschuss. Wie sieht denn der Kreislauf aus?«
»Fragen Sie ihn doch«, stieß Grau zwischen den Zähnen hervor.
Er wurde vorsichtig auf den Rücken gedreht und musste die Augen schließen, weil an der Decke eine grelle Lampe brannte.
»Das ist nicht gut, das ist Schock«, sagte die Stimme.
»Das ist Kampfschock«, sagte Milan von irgendwoher.
»Also Kreislauf und Pumpe«, sagte jemand.
Grau wollte etwas zum Gespräch beisteuern, wollte sich mit aller Gewalt lustig machen über den ›Kampfschock‹, verlor aber wieder das Bewusstsein.
Er fand es beruhigend, dass er sich sofort an alles erinnerte, als er erneut erwachte. Der Raum war in Halbdunkel getaucht. Rechts neben ihm auf einem Tischchen brannte eine Lampe. Daneben sah Grau auf einen hohen Ständer mit einer Plastikflasche, in der eine wasserhelle Flüssigkeit durch ein langes Plastikröhrchen strömte. »Infusion«, sagte er halblaut. Die Stimme jedenfalls funktionierte noch.
Etwa drei Meter entfernt waren drei kleine Ledersessel um einen runden Tisch mit einer Glasplatte gruppiert. Dahinter zeichnete sich auf einem roten Vorhang die Silhouette zweier hoch aufragender Fenster ab. Auf dem Tisch standen Blumen. Gerbera, dachte Grau, es sind Gerbera. Dann machte er sich daran, seinen Körper zu betasten. Er erinnerte sich an die Wunde knapp oberhalb der Hüfte und fühlte vorsichtig danach. Da war ein kleiner Hügel aus Mull und etwas, was sich ausnahm wie ein Wundpflaster. Jemand hatte seine Uhr sorgfältig in den Lichtkreis der kleinen Lampe gelegt. Es war halb zwölf. Tag oder Nacht? Er entschied sich für Nacht.
Dann war da noch ein Gerät, ein kleiner Plastikkubus, auf dem in weißen Buchstaben Baby-Alarm stand. Er grinste und sagte laut: »Ich bin wach!« Dann entdeckte er, dass er völlig nackt war.
Es gab nur eine Tür, eine weiße, mit Schleiflack belegte Stahltür. Sie öffnete sich wie von Geisterhand. Milan stand da und lächelte leicht beklommen. »Bist du okay?«
»Vollkommen okay«, versicherte Grau. »Wo bin ich denn hier?«
»Im Penthouse von Mehmet, oben im fünften Stock. Du hast vierzehn Stunden geschlafen.«
»Was ist inzwischen passiert?«
»Nichts, gar nichts.« Milan kam ans Bett und setzte sich. »Du hast Meike rausgeholt, das ist deine Eintrittskarte. Sundern liebt dich jetzt wie seinen Sohn. Kann ich offen reden, ich meine, hörst du zu?«
»Na klar«, behauptete Grau.
»Du hast einen Fehler gemacht in Miezes Wohnung. Du musst das wissen.«
»Ich werde nie mehr versuchen, irgendeine Frau irgendwelchen Südamerikanern wegzunehmen.« Grau grinste.
»Das weißt du noch nicht«, sagte Milan ernsthaft. »Du hast die Schießeisen der Leute aus dem Fenster geworfen. Gut gemacht. Aber sie tragen immer auch Waffen direkt am Körper. Sie haben immer irgendwelche zusätzlichen Waffen, die sie niemals irgendwo liegen lassen. Messer zum Beispiel oder Schusswaffen. Der Peruaner, der aus der Wohnung kam, hatte eine flache Beretta. Er hat dich getroffen und du bist nur nicht tot, weil mein Knaller qualmte, ihm die Sicht nahm und ihm in den Ohren dröhnte. Du musst das wissen, Grau.«
»Ich werde es mir merken«, versprach Grau, »aber ich werde so etwas Idiotisches sowieso nie mehr tun.«
»Du lügst wie ein Deutscher«, entgegnete Milan ruhig.
»Was ist denn mit dir los?«
Milan lächelte leicht. »Was soll sein? Sie fragen mir Löcher in den Bauch, sie wollen wissen, wer du bist, woher du kommst, was du willst und so weiter. Ich sage ihnen, ich bin nur ein kleiner Angestellter und ich weiß von nichts.«
»Haben sie irgendetwas gesagt, irgendetwas in unserer Sache? Wissen sie, wo dieser Steeben ist, das Geld, der Stoff?«
Milan schüttelte den Kopf. »Nichts, sie sagen nichts. Sie sagen auch nicht, weshalb sich diese Indianer die Meike geholt haben. Nur Geronimo hat einmal erwähnt, das wäre ein – wie nennt man das? –, ein Missverständnis gewesen.«
»Ein Missverständnis?«
»Er hat das so gesagt Und ich soll dich von Sigrid grüßen.«
»Wie geht es ihr?«
»Gut. Sie beschwert sich, sie ist sauer. Sie sagt, sie hätte nichts anderes getan, als auf der gottverdammten Treppe herumzusitzen. Sie sagt, sie wäre unter ihren Möglichkeiten eingesetzt worden.« Er lachte beglückt.
»Wo seid ihr untergekommen?«
»Wir sind bei Mama. Eine Freundin schmeißt weiter die Pension.«
»Wir hatten doch ausgemacht, dass wir essen gehen und etwas für Sigrid kaufen.«
»Du hast wirklich Sorgen«, sagte Milan mit beißendem Spott. »Ich habe deinen Gürtel mit dem ganzen Geld. Hier ist er.« Er zog ihn aus der Innentasche seines Jacketts und legte ihn aufs Bett.
»Ich brauche das jetzt nicht, behalt du es. Glaubst du, wir kommen weiter?«
»Ich weiß es nicht, ich schweige, ich warte. Sundern will dich sprechen, natürlich. Meike auch. Puh, sie ist ein Wahnsinnsgeschoss, aber auch gefährlich.«
»Wieso das?«
»Ich weiß es nicht, ich ahne es nur. Sie wartet übrigens draußen. Du kannst jetzt dieses Baby-Gerät abschalten.« Er griff nach dem kleinen Kunststoffkasten und drückte einen Knopf. »Sie verehren dich wie Jesus, und natürlich glauben sie nicht, dass du Journalist bist.«
»Aber ich bin einer …«
Milan schüttelte den Kopf. »Du bist jetzt keiner, Grau, du bist keiner mehr. Ich schick dir Meike rein.«
Er ging und Meike kam.
Sie wirkte wie ein braves schönes Mädchen, sie war nicht geschminkt. Sie kam in einfachen blauen Jeans, weißer, hochgeschlossener Bluse und flachen schwarzen Lackschuhen. Sie trug das lange blonde Haar als Pferdeschwanz. Sie sagte munter mit einer etwas heiseren Stimme: »Du hast drei Wünsche frei, Fremder.«
Sie blieb einen Meter vor seinem Bett stehen und verschränkte die Arme. Sie wirkte nervös.
Grau wollte ihr die Befangenheit nehmen und schwadronierte drauflos: »Ich möchte, dass du mich liebst, dass wir heiraten, dass wir ein paar Kinder zusammen kriegen, dass wir auswandern, irgendwo eine Hütte bauen und Schafe züchten, nein, Pferde.«
»Das ist sehr gut«, sagte sie und grinste wie ein Junge. »Warum hast du mich herausgeholt?«
»Das weiß ich selbst nicht so genau«, erwiderte Grau. »Willst du dich nicht setzen?«
Sie war froh, irgendetwas tun zu können. Sie sah sich um und murmelte: »Eine trostlose Bleibe ist das hier.« Dann ging sie zu der Sitzecke, nahm einen Sessel und schob ihn polternd ans Bett heran. Sie drehte sich wieder um und zog auch das Tischchen näher zu Grau.
»So ist es etwas gemütlicher«, sagte sie. Sie legte das rechte Bein hoch über das linke. »Im Ernst, das wäre beinahe ziemlich schiefgegangen. Ich danke dir, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Warum hast du das gemacht?«
»Ich will einen heißen Draht zu Sundern«, antwortete er ganz ehrlich. »Außerdem fand ich es beschissen von denen, dich als Geisel zu nehmen. Was wollten denn die Typen?«
»Sie wollten etwas von Sundern, von dem sie glaubten, er hätte es.«
Grau nickte. »Zehn Millionen in bar und fünfzig Pfund reines Kokain.«
»Wenn du das weißt, bist du doch garantiert ein Bulle«, sagte sie altklug.
»Das bin ich nicht«, sagte er. Sie sah schön aus am Rande des matten Lichtscheins, sie verwirrte ihn. »Lebt dieser Mann noch?«
»Welcher Mann?« Sie sah ihn schnell an, sie ignorierte die Frage und versuchte, um eine Antwort herumzusteuern.
Sie zog eine kleine, flache silberne Dose aus der Hosentasche und ließ sie aufspringen. Die Innenseite des Deckels bestand aus einem kleinen Spiegel. Zuerst dachte Grau, sie würde sich schminken, einfach so, in seiner Gegenwart. Aber sie hatte etwas ganz anderes im Sinn.
Sie zückte einen kleinen Briefumschlag und schüttete mit einem winzigen Löffel ein weißes Pulver auf den Spiegel. Dann zauberte sie eine Art Rasierklinge hervor und hackte damit geschickt auf das Pulver ein. Schließlich zog sie den feinen weißen Staub zu einer langen Linie auseinander, holte einen Tausendmarkschein aus der Hosentasche und rollte ihn versiert zu einem Röhrchen. Sie zog das Kokain in ihr rechtes Nasenloch hoch und sah ihn dann strahlend an.
»Hast du das von Nase?«, fragte Grau unverfroren. Er war wütend, er hatte einen Klumpen aus Wut im Bauch.
»Wer ist denn schon Nase?«, fragte sie provozierend. »Nase ist ein Arsch.«
»Der Arsch hatte die Wohnung von Mieze gemietet, um dich und die Peruaner dort unterzubringen«, sagte Grau leichthin.
»Kannst du das beweisen?«, fragte sie schnell.
»Das brauche ich nicht«, entgegnete Grau. »Ich weiß es einfach, und mit dieser Tatsache wird Nase leben müssen.«
»Er streitet es aber ab«, sagte sie. Sie schniefte ein paarmal.
»Mieze hat es mir gesagt.« Grau betrachtete eindringlich die Infusionsflasche. Sie war leer.
»Klemm sie ab«, bat er. Er löste das Pflaster vom Arm, mit dem die Nadel in der Vene gehalten wurde, und zog die Nadel heraus.
»Das mit dem Kokain ist nicht gut«, sagte er gepresst.
»Es bringt mich gut drauf«, erklärte sie. »Ich brauche es nicht, aber für Leute, die Sorgen haben, ist es ein verdammt guter Muntermacher.«
»Eine verdammte Scheiße ist es, und du weißt das genau.« Er wurde beängstigend sanft.
Sie setzte sich wieder und zog das rechte Bein dicht an ihren Körper, als könnte sie sich so vor seinen Vorwürfen schützen. »Bist du ein Spießer?«
Grau überlegte. »Wahrscheinlich. Also gut. Sundern hat weder die Dollars noch das Kokain. Und wer hat es dann?«
»Das wissen wir nicht.«
»Lebt dieser Mann noch, dieser Steeben?«
Sie nickte. »Er lebt noch.«
»Woher weißt du das?«, wollte Grau wissen.
Sie zog ein zerknülltes Stück Papier aus der Tasche und gab es ihm. »Vielleicht solltest du nicht darüber sprechen«, bat sie, »aber ich schulde dir noch was.«
Es war ein Telegramm und der Text lautete: Alles läuft wie geplant. Als Unterschrift entzifferte Grau zu seinem Erstaunen Markus, und das Datum war erst einen Tag alt.
»Wieso Markus? Ich denke, der heißt Ulrich?«
»Er war früher mal Journalist und hat seine Artikel mit dem Pseudonym Markus Schawer gezeichnet. Er hat auch einen Presseausweis auf diesen Namen und wollte jetzt sogar seine Papiere entsprechend ändern lassen.«
»Was verbindet dich … wie stehst du zu ihm? Ist er dein Freund?«
»Kann man wohl so sagen. Freund und Partner.«
Grau hätte gern gefragt, ob sie auch mit Schawer alias Steeben geschlafen hatte, wagte es aber nicht.
»Wieso denn Partner?«
»Wir wollen ins Immobiliengeschäft einsteigen. Eine Firma aufmachen.«
»Mit Kokain und Dollars?«
»Das … das sollte der Grundstock sein. Also, du bist doch ein Bulle!«
Grau schüttelte den Kopf. »Wann ist er denn in Berlin eingetroffen?«
»Vor zehn Tagen«, sagte sie schnell.
Das stimmte, das konnte richtig sein. »Und ihr habt euch danach wieder getroffen?«
»Nein, das ging nicht. Er hatte zu viel zu tun.«
»Was wusste denn Sundern davon?« Grau fand seine eigene Fragerei quälend.
»Alles«, sagte sie einfach. »Wir sind sehr offen zueinander.«
»Du bist ganz sicher, dass das Rauschgift und die Dollars nur die Basis sein sollten?«
Sie gab sich jetzt betont selbstsicher. »Na klar. Man weiß doch, wie das ist: Die erste Million ist immer gemogelt.« Sie lachte über ihren eigenen Witz. »Aber mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Wo ist denn dieser Steeben jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Wieso glauben denn irgendwelche Südamerikaner, dass Sundern den Stoff und das Geld hat?«
»Das wissen wir nicht.«
»Steckt auch Sundern in dem Geschäft mit drin?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er war gegen den Deal.«
»Ein kluger Mann, dein Sundern. Wenn du Steeben siehst, sag ihm, ich hätte gern ein Interview mit ihm.«
»Ich richte es aus. Noch einmal: Vielen Dank, du hast aber immer noch ein paar Wünsche frei.«
»Ich glaube, ich will das gar nicht. Du bist eine schöne Frau und du kokst, das finde ich Oberscheiße. Greifst du bitte mal in die Jacke da? Es stecken zwei Fotos drin. Sieh sie dir genau an und sag mir, ob du diese Männer kennst.«
Sie nahm die Fotos aus der Jacke und starrte lange darauf. »Ich weiß nicht«, murmelte sie dann und legte sie beiseite.
»Du weißt es genau«, behauptete Grau fest. »Du bist ein helles Köpfchen, obwohl das Scheißkokain dir jedes Mal ein paar Millionen grauer Zellen kaputtmacht. Also, was ist?«
»Markus hat sie ein paarmal getroffen«, gab sie schließlich zu. »Du bist doch ein Bulle. Wenn du keiner bist, dann bist du ein Geheimer. Von den Deutschen oder von den Amis?«
»Auch kein Geheimer.« Grau schüttelte den Kopf. »Wann haben sie sich getroffen? Und wo?«
»Hier in Berlin. Markus war bei mir in meiner Wohnung. Abends gingen wir raus. Dabei trafen wir diese Männer, besser gesagt, Markus traf sie. Sie saßen ein paar Tische weiter. Ich war bei dem Gespräch nicht dabei, er wollte es nicht. Er sagte immer, es wäre besser für mich, ein paar Dinge nicht zu wissen. Er könnte mich auf diese Weise am besten schützen.« Das klang stolz.
»Stimmt es denn, dass Sundern sich vollkommen rausgehalten hat?«
Sie nickte. »Ich glaube, er ist eifersüchtig, weißt du. Männer sind manchmal wie kleine Kinder. Und eifersüchtig sind sie immer.«
»Ich glaube«, sagte Grau hart, »dass Markus Schawer alias Ulrich Steeben dich schlicht und ergreifend beschissen hat.«
»Wieso das?« Ihr Kopf flog hoch und sie zitterte.
Grau dachte erschreckt: Ihre Augen sind jetzt so verdammt groß. Sie hat Angst, dass sie betrogen wird.
»Da kommt dieser Steeben nach Berlin. Mit Geld und Stoff. Er sagt dir, er wolle ins Immobiliengeschäft einsteigen. Wieso dann Geld, wieso dann Stoff? Und wieso hält Sundern sich raus?«
»Sundern ist sauber«, sagte sie hastig. »Sundern ist immer sauber.«
»Scheiß drauf!«, erwiderte Grau wütend. »Er hält sich raus, weil er genau weiß, dass irgendetwas an der Sache faul ist. Und du weißt das auch. Hast du wirklich keine Ahnung, wo Steeben ist?«
Sie schüttelte den Kopf.
Grau schwang die Beine aus dem Bett, es war ihm gleichgültig, dass er nackt war. »Wenn du es wirklich nicht weißt, dann ist es okay. Aber wenn du weißt, wo er ist, dann solltest du hingehen und ihn warnen.«
»Wovor denn?«, fragte sie betont naiv.
»Ungefähr dreihundert oder vierhundert Leute würden ihn liebend gern umbringen. Weißt du, was er bei sich hat? Runde fünfzig Millionen Mark. Deine gottverdammte Geschäftsbasis. Wie viele Morde ist das wert? Geh hin und warne ihn. Sag ihm einen schönen Gruß: Er sollte lieber ganz schnell tausend Kilometer zwischen sich und Berlin bringen!«
»Das ist nicht dein Ernst!«, sagte sie. »Niemand weiß etwas von dem Stoff und dem Geld.«
»Das ist nicht wahr.« Grau fuchtelte mit beiden Händen. »Ich weiß es und ich bin Journalist. Und die Peruaner wissen es, sie kamen extra aus Amsterdam.«
Es war plötzlich sehr still.
»Ich muss gehen«, sagte sie dann mit der Stimme eines kleinen Mädchens. »Ich muss mich im Memphis zeigen und so tun, als wäre nix gewesen. Die Bullen werden kommen und fragen: ›Wo ist Meike?‹ Sundern wird sagen: ›Hier ist sie!‹ Dann wird er lächeln, als könnte er kein Wässerchen trüben. Ich wette, er will nur, dass ich … na ja, ich muss jetzt gehen. Du hast aber immer noch ein paar Wünsche frei.«
»Schon gut, Mädchen«, sagte Grau. »Dann wünsch ich mir, dass du mit dem Koksen aufhörst. Irgendwann ist sonst nämlich dein zentrales Nervensystem völlig am Arsch, und du wirst langsam und jämmerlich ersticken. Ende des Märchens. Prinzessin mausetot.«
Ihr Lächeln flackerte. »Du bist ganz schön brutal.«
»Das ist nicht wahr«, widersprach er. »Und noch etwas. In dem Haus, in dem dich die Peruaner gefangen gehalten haben, lebt ein ganz junges Pärchen. Wilder Irokesenkamm, bunt gefärbte Haare. Sie heißen Zora und Geri, und sie haben bei deiner Befreiung mitgeholfen. Sie wollen spülen, in irgendeiner Kneipe spülen. Ich meine …«
»Geronimo wird sie holen«, versprach sie. »Ich sage ihm Bescheid, er wird sie noch diese Nacht holen. Übrigens Grau, hast du Erfahrung mit Koks?«
»Nein. Ich habe Erfahrung mit einer Tochter. Sie ist am Heroin krepiert.«
»Das tut mir leid, das wusste ich nicht. Das tut mir wirklich leid.«
»Es muss dir nicht leid tun«, sagte Grau. »Du hast sie nicht gekannt, du musst nicht irgendwas Tröstliches daherplappern. Verdammt, hör auf mit dem Scheiß!«
Sie stand auf, drehte sich schnell herum und ging hinaus. In der Tür gab sie Milan die Klinke in die Hand, und Grau bat hastig: »Ich muss dringend mal telefonieren. Geht das?«
»Ich bringe dir ein Telefon«, sagte Milan.
»Meike!«, rief Grau. »Du solltest Mehmet und Sundern sagen, dass sie Nase in Ruhe lassen. Nicht töten, nicht vierteilen, nicht rädern. Ich brauche den Mann heil und am Stück.«
»Ist gut, ich werde es ihnen sagen«, tönte ihre Stimme auf dem Flur.
Milan kam mit dem Funktelefon und gab es Grau. »Was weiß diese Frau?«
»Stückwerk«, sagte Grau. »Sie behauptet, dass dieser Steeben noch lebt, sie hatte ein Telegramm von ihm, das er angeblich gestern geschickt hat. Es liegt da auf dem Tisch. Sie sagt, dass niemand weiß, wo Geld und Koks abgeblieben sind. Wieso weiß das niemand, wenn Steeben wirklich noch lebt?«
»Ich habe nachgedacht«, sagte Milan. »Ich glaube, da ist eine Panne passiert. Irgendetwas ist schiefgegangen. Ich weiß nicht, was. Du musst noch einmal alles genau erzählen. Vielleicht ist da ein Fehler, vielleicht haben sie einen Fehler gemacht.«
»Es gibt tatsächlich einen Fehler.« Grau griff nach seinem Hemd. »Ich habe ihr die Fotos von Thelen und White gezeigt. Sie sagt, sie hat die Männer gesehen. Sie sagt auch, sie sind sogar mehrmals in Berlin aufgetaucht. Ulrich Steeben, der auch Markus Schawer heißt, hat White und Thelen getroffen. Da ist was faul, verstehst du? White hat behauptet, er hätte sich Ulrich Steeben nie genähert. White sagte, Steeben wäre neu im Geschäft und sie hätten ihn nur beschattet, aber keinen persönlichen Kontakt gehabt. White hat also gelogen. Wo ist Sundern jetzt?«
»Im Memphis. Was ist, wenn das Ganze ein Bluff war?«
Grau hielt mitten in der Bewegung inne. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber dann muss es auch jemanden geben, der davon profitiert. Hat dieser Indianer, den ich mitgebracht habe, gesungen?«
»Dir wird es Sundern sagen, mir sagt von denen keiner was. Ich habe mich um das Thema Nase gekümmert, habe Mieze gefragt, ob sie Thelen und White kennt, habe ihr auch die Fotos gezeigt. Sie hat die beiden noch nie gesehen, aber sie sagt, Nase habe sie manchmal mitgenommen auf irgendeinen Bauernhof, den er sich gekauft hat. Da hat er sich dann voll bekokst und besoffen und behauptet, er hätte die stärksten Männer der Szene im Kreuz, große Beschützer.«
»Wo ist denn dieser Bauernhof? Und wo steckt Nase jetzt?«
»Er ist verschwunden. Geronimo sagt, Nase hat Angst. Du musst diesen White anrufen, du musst rauskriegen, was er weiß.«
Grau nickte, nahm den Apparat und wählte die Nummer. Es war schon elf Uhr durch, er hoffte, White würde noch erreichbar sein.
Zu seinem großen Erstaunen meldete er sich sofort. »Was macht mein Späher in Feindesland?«
»Ich habe eine sichere Fahrkarte zu Sundern«, sagte Grau trocken. »Ich vermute mal, Sie wissen davon.«
»Sie vermuten richtig. Jemand vom Verfassungsschutz hat Thelen angerufen. Er hatte allerdings ziemlich miese Neuigkeiten.«
»Welche denn?«, fragte Grau betont ahnungslos.
»Sie haben einem Mann vom Verfassungsschutz beide Unterarme gebrochen. Beide, Grau! Gehört jetzt Brutalität zu Ihrem Handwerkszeug?«
»Danke für den Hinweis mit dem Verfassungsschutz. Das konnte ich bisher nicht verifizieren. Und noch etwas, White: Ich war es nicht.«
»Wer dann?«
»Mein Angestellter.«
»Ihr was?« White war verblüfft. »Was sind denn das für neue Sitten?«
»Hector hat mir dazu geraten«, sagte Grau. »Zugegeben, der Mann hat etwas ungeschliffene Manieren, aber ansonsten ist er ein Edelstein.«
»Das kann gefährlich werden«, sagte White mit einem drohenden Unterton.
»Überhaupt ist das Leben lebensgefährlich«, säuselte Grau.
»Stimmt es, dass Sie Sunderns Frau aus irgendeinem Schlamassel rausgeholt haben?«
»Das stimmt«, sagte Grau betont bescheiden.
»Das ist ja fantastisch!« White tat plötzlich begeistert. »Haben Sie eine Spur von Steeben?«
»Nicht die geringste. Aber angeblich lebt er noch. Allerdings weiß niemand, wo das Geld und der Stoff abgeblieben sind. Warum haben Sie mir eigentlich nicht gesagt, dass Sie mit Steeben persönlich gesprochen haben? Thelen war auch dabei.«
»Das stimmt so nicht«, sagte White ganz ruhig. »Wer immer das behauptet hat, es stimmt so nicht.«
»Es stimmt eben doch. Deshalb wussten Sie auch, dass Steeben mit der Exfrau von Sundern geschlafen hat. Steeben selbst hat es Ihnen nämlich gesagt. Warum haben Sie mich belogen?«
White blieb einen Moment lang stumm. Dann sagte er: »Ich habe Sie nicht belogen. Die Geschichte war einfach zu kompliziert, um sie in so kurzer Zeit in allen Einzelheiten zu erzählen. Ich betrüge nie, Grau.«
»Sie betrügen, wann immer es gut für Sie ist«, stellte Grau trocken fest. »Wie passt denn Nase in Ihr Spiel?«
»Wer, bitte schön, ist Nase?«
»Ein Kokser und Nuttenvater«, sagte Grau gleichmütig. »Nase behauptet, er hätte mächtige Beschützer. Und es sieht so aus, als würde er Sie und Thelen meinen. Also gut, wenn ich Steeben habe, sage ich Bescheid, okay?«
»Passen Sie gut auf sich auf, Grau. Wenn wir Steeben haben, steigen Sie sofort aus.«
Grau wartete eine Sekunde, ehe er sagte: »Ich steige dann aus, wenn ich es für notwendig halte, White. Sie haben mich aufgefordert, also müssen Sie jetzt auch mit mir tanzen.«
»Moment mal.« Whites Stimme hob sich. »Sie verstoßen gegen unsere Vereinbarung. Wenn wir Steeben haben, ist Ihr Auftrag zu Ende!«
»Sie sind wirklich ein Arschloch«, sagte Grau. Er warf White aus der Leitung. »Wenn Nase verschwunden ist und wenn er einen Bauernhof hat, dann ist er doch bestimmt dort. Weißt du, wo der liegt?«, wandte er sich wieder an Milan.
»In Malchow, an irgendeinem See. Moment, ach ja, Müritzsee.«
»Ist das weit?«
»Nicht sehr, kommt aufs Auto an. Fahren wir sofort?«
»Natürlich fahren wir sofort, wir haben einen hauchdünnen Wissensvorsprung. Wer von unseren neuen Freunden hat ein schnelles Auto?«
»Mehmet vielleicht. Ich frage ihn. Ich gebe das Telefon zurück und frage ihn.«
»Das Telefon nehmen wir mit und du bindest ihm nicht auf die Nase, wohin wir fahren.«
Milan nickte und verschwand, Grau zog sich an.
Milan kam zurück. »Wir können Mercedes haben oder Porsche. Ich sagte: Wir nehmen den Mercedes.«
Grau nickte.
»Er wollte nicht einmal wissen, wohin wir fahren, er hat auch nicht nach dem Telefon gefragt, er ist ein kluger Mann. Geronimo sagt: ›Nase ist mit zwei Leuten auf Tour. Einer ist so alt wie Nase, also fünfzig, einer ist zwanzig.‹ Geronimo sagt auch, der Zwanzigjährige ist ein Rechtsaußen, ein Schläger. Nase hat ihn gemietet, ein Schlägersklave.«
»Lass uns fahren. Wenn Nase tatsächlich so dick im Kokaingeschäft ist und wenn er diese Peruaner als Verstärkung nach Berlin geholt hat, dann muss er doch auch wissen, dass Steeben in der Stadt ist. Und dann ist er ihm auch garantiert schon auf der Spur.«
»Das ist falsch«, widersprach ihm Milan. »Wenn Nase gewusst hätte, wo dieser Steeben ist, hätten die Typen nicht Meike geholt.«
»Du hast recht«, gab Grau zu. »Aber vielleicht ist alles ganz anders, als wir denken.«
Milan versuchte, einen Witz zu machen. »Wir denken doch gar nicht.«
»Wo steht der Wagen?«
»Zwei Querstraßen weiter. Ich hole ihn. Komm, ich bringe dich runter. Du kommst hier nicht raus, wenn du nicht weißt, welchen Weg du gehen musst.«
Sie kamen in einen vollkommen kahlen Vorraum. Zwei Türen führten hinaus. Milan schob eine Plastikkarte in einen kleinen Kasten und eine der Türen sprang auf. Die folgenden drei jeweils vollkommen kahlen Räume öffnete er genauso. Auch der Aufzug funktionierte nur mit der Karte.
»Wenn Mehmet nicht will, dass du gehst, bist du ewig sein Gast. Ziemlich clever.«
Sie standen in einem Torbogen. Links, ungefähr fünfzig Meter entfernt, lag der Eingang zu Mehmets Restaurant. Es herrschte emsiger Betrieb. Milan verschwand nach rechts, Grau blieb stehen und wartete. Milan glitt mit dem Wagen neben ihn und rutschte auf den Beifahrersitz. »Du fährst, ich habe noch immer keine Papiere. Ich sage dir, wo es langgeht. Also zuerst geradeaus, dann rechts, dann wieder rechts: Dann kommst du auf die A 111. Richtung Rostock.«
»Daraus wird wohl nichts«, sagte Grau gepresst. »Hinter uns ist ein Wagen. Er folgt uns. Wenn wir abbiegen, bremst er ab, ist aber immer wieder da. Was machen wir jetzt?«
»Nicht auf die Autobahn«, bestimmte Milan. »Auf keinen Fall zeigen, wohin wir wollen. Führe ihn einfach ein paarmal im Kreis. Wenn er dranbleibt, müssen wir überlegen. Kannst du erkennen, wie viele Leute drin sind?«
»Zwei.«
»Dann bremse ihn aus. Bremse plötzlich, wenn eine Kneipe kommt, fahr rechts ran. Wir sehen dann, was er tut.«
Vor einer Kneipe schaltete Grau unvermittelt herunter, fuhr scharf rechts an den Gehsteig und hielt.
»Wir müssen aussteigen«, sagte Milan schnell. »Normal aussteigen und ins Lokal gehen.«
Also taten sie so, als hätten sie sich überlegt, doch noch einen letzten Schluck zu trinken.
»Er meint uns tatsächlich«, sagte Milan. »Siehst du, er wartet. Komm, wir gehen rein.«
Drinnen war wenig los. Nur zwei Männer standen an der einfachen Theke, der Wirt sprach ganz ruhig mit ihnen, die Szene wirkte sehr sachlich.
»Zwei Cola.« Milan gab ihre Bestellung auf. »Guten Morgen. Wo ist denn der Lokus?«
»Im Flur nach hinten«, sagte der Wirt.
Milan verschwand.
Grau legte beide Arme auf die Theke, nippte an seiner Cola und starrte in das Glas. Niemand kam herein, niemand sah nach, was sie in dieser Kneipe taten.
Einer der Männer an der Theke erzählte empört von einer alten Frau, die er mit seinem Taxi den ganzen Tag durch Berlin hatte fahren müssen.
»Sie hatte unheimlich viel Kies, die Alte. War kein schlechter Typ. Sie erzählte, sie hätte ihren Bauernhof an einen Golfklub verscherbelt. Jetzt suchte sie Messinglampen. Sie hatte nur eines im Kopf: Messinglampen. Sie wollte ins KaDeWe, um dort Lampen zu kaufen. Zwei oder drei Zentner Messinglampen.
Ich sagte: ›Muttchen, das ist doch Schrott ist das!‹ Und was sagte sie? Sie sagte: ›Ich habe Geld genug, es macht nichts, wenn sie mich übers Ohr hauen.‹ Die war richtig glücklich, die Alte. Unsereiner weiß nicht, wie er die Steuern bezahlen soll, und die kauft zentnerweise Messinglampen!«
Irgendwann kam Milan ganz außer Atem zurück.
»Es ist alles okay«, sagte er leise. »Wir können.«
Sie bezahlten und gingen hinaus. Der Wagen ihrer Verfolger stand immer noch da. Die Männer waren nicht zu sehen.
»Sie warten gegenüber in einer Einfahrt«, hauchte Milan. »Aber sie können uns nicht mehr folgen. Platte Reifen.«
»Hast du die Nummer?«
»Sicher. Ich bin aus dem Lokusfenster geklettert, jetzt habe ich einen Splitter im Arsch!«
Grau ließ den Motor an und sah im Rückspiegel, wie die Männer zu ihrem Auto liefen. »Was machen sie für einen Eindruck?«, fragte er.
»Nicht aus der Szene«, sagte Milan sehr entschieden. »Irgendwas mit Bullen. Du musst jetzt auf die Einhundertelf.«
Nach einer Weile fluchte Grau aus seinen Gedanken heraus: »Verdammt, verdammt, sie nimmt Kokain!«
»Die Reichen und die Schönen«, kommentierte Milan ironisch. »Hast du Angst, sie wird dir wegfliegen?«
»Ja«, sagte Grau wild.
Dann fiepte das Telefon in Graus Jackentasche. Er fummelte es heraus und gab es Milan.
»Ja, bitte?«, fragte Milan. Dann hörte er zu und sagte: »Nein, nein, wir sitzen in Mehmets Wagen, wir haben das Telefon bei uns. Ich bin nur der Angestellte. Wollen Sie ihn sprechen …? Meike ist wieder weg? Wieso weg …? Gut, ich sage es ihm.« Er drückte auf einen Knopf und erklärte: »Es war Sundern. Meike ist von Mehmet aus ins Memphis, aber sie ist nicht dort angekommen. Sie ist schon wieder verschwunden. Sundern klang so, als würde er Berlin anzünden.«
»Vielleicht ist sie zu Steeben«, dachte Grau laut. »Vielleicht hat sie Kontakt zu ihm, vielleicht, vielleicht, immer nur vielleicht. Wollen wir umkehren?«
»Nein«, erwiderte Milan. »Es ist mitten in der Nacht, sie werden eine Weile brauchen, um zu erfahren, wo sie ist. Kann sein, dass alles harmlos ist, oder? Wir sollten Nase fragen gehen. Weißt du, im Krieg war es einfacher. Hier warst du und da drüben waren die anderen. Du wolltest sie töten, du hast auch nicht fragen brauchen, wer sie sind. Du hast sie getötet.
Du kommst jetzt auf die 10 und fährst dann auf die 24. Im Dreieck Dosse musst du auf die A 19 nach Rostock. Abfahrt Nummer 17, dann die A 192 bis Klink. Du bist dann zwischen Kölpinsee und Müritzsee. Dann links nach Grabenitz. Hörst du mir überhaupt zu?«
»Entschuldigung, was hast du gesagt?«
»Schon gut«, murmelte Milan. »Du könntest schneller werden, du bist nur bei einhundertsechzig. Geh hoch.«
Grau beschleunigte. »Ich weiß nicht einmal, wie du mit Nachnamen heißt.«
Milan lachte. »Sarajevo.«
»Wie die Stadt?«
»Wie die Stadt. Die Sippe heißt eigentlich ›von Sarajevo‹, aber Adel gibt es nicht mehr, nur einfache Leute.«
»Was wirst du tun, wenn man dich ausweist?«
»Irgendwohin, Australien, Kanada. Ich will nicht mehr nach Hause. Nur Gräber, verstehst du?«
Grau nickte. »Sicher, sicher. Sieh mal, Gewitter.«
»Gewitter ist gut«, befand Milan. »Am besten ist so etwas bei strömendem Regen. Da sind sie alle froh, dass sie ein Dach überm Kopf haben.«
»White hat mich betrogen. Ich frage mich langsam, wer mich eigentlich nicht betrügt.«
»Ich«, sagte Milan blitzschnell und sie lachten.
Milan nahm die Karte zu Hilfe. »Es ist besser, du gehst auf der Nummer 18 bei Röbel raus. Dann nach Röbel, dann nach Norden nach Sietow. Hast du jetzt zugehört?«
»Habe ich«, bestätigte Grau. Als das Telefon erneut fiepte, sagte er schnell: »Geh nicht ran, hör einfach weg.«
Milan nickte. »Mehmet ist schlau, Sundern auch. Sie werden sich denken, wo wir sind. Kann also sein, dass wir Besuch bekommen. Wie ist das bei Kokain? Kann man das einfach lassen?«
»Sie behaupten das zwar alle, aber so einfach ist das nicht. Ich weiß nicht viel, ich weiß nur, dass sie es brauchen.«
»Ich brauchte Schnaps, als meine Leute tot waren. Ich brauchte wochenlang Schnaps.«
»Und wie hast du damit aufgehört?«
»Ich musste. Ich hatte keinen Schnaps mehr. Wie finden wir dieses Bauernhaus? Es wird niemand mehr auf der Straße sein.«
»Wir suchen ein Bauernhaus mit Berliner Autos vor der Tür. So viele werden das nicht sein, denn das ist ein Naturschutzpark.« Dann fragte er Milan: »Wahrscheinlich könntest du auch gar nicht nach Hause zurück, sie würden dich töten, oder?«
Milan nickte. »Irgendjemand wird mich töten. Dann wird irgendjemand irgendjemand für mich töten und so weiter. Die Menschen lernen nicht. Politiker sind Schwätzer und Besserwisser. Aber das weißt du selbst am besten.«
Von Nordwesten her kam eine schwarze Wolkenwand und der Wind frischte auf. Noch ehe sie die Ausfahrt genommen hatten, goss es in Strömen. Sie erreichten Sietow nach zwanzig Minuten, und weitere fünfzehn Minuten später rasten sie auf einer schmalen, nicht ausgebauten Straße gefährlich schnell zwischen Klink und Grabenitz dahin. Es blitzte und krachte, der Regen kam in dichten Böen.
»Rechts ist ein Hof, ein Haus mit Licht«, sagte Milan. »Lass das Auto stehen, fahr es unter die Bäume. Jetzt wird es feucht.«
Grau steuerte den Wagen in einen Waldweg und parkte ihn zwischen zwei hochstämmige Buchen. Sie stiegen aus und waren im Nu klatschnass. »Das tut gut, das ist wie eine Dusche«, sagte Milan fröhlich.
Das Gehöft sah aus wie ein großes L. Der kleinere Bau entpuppte sich als Scheune. Zwei Fenster im ersten Stock des Wohnhauses waren hell erleuchtet, und vor der Eingangstür parkte ein schwerer Mercedes mit Berliner Kennzeichen.
»Schau mal, da ist eine Spur.« Milan deutete auf den aufgeweichten Boden. »Sie führt in die Scheune. Also, erst genau untersuchen, dann überlegen.«
Das Scheunentor war verschlossen, aber dann entdeckten sie im Schummerlicht noch eine schmale kleine Tür, und die Klinke ließ sich problemlos herunterdrücken. Sie gingen hinein.
Milan spielte im Dunkeln mit seinem Feuerzeug herum, bekam eine kleine Flamme zustande und gab Grau gleichzeitig einen kumpelhaften Stoß. »Sieh an«, sagte er und das Feuer erlosch. »Wir müssen uns an die Dunkelheit gewöhnen. Keine Hast.«
Da stand ein altes Mercedes-Cabriolet, knallrot und offen. »Ein antikes Stück«, sagte Grau.
»Es ist Meikes«, sagte Milan. »Ich habe es doch gerochen, dass man sie geholt hat.«
»Sicher?«
»Ziemlich sicher. Stand am Memphis, als wir zum ersten Mal dort waren. Stand auch heute Abend bei Mehmet, ehe sie mit dir gesprochen hat. Es ist Meikes Auto, das ist klar. Nase hat die Peruaner geholt, die Peruaner haben sich Meike geholt. Sundern und Mehmet wollen Nase. Also schnappt Nase selbst sich Meike und kann verhandeln.«
»Wir müssen erst ganz sicher sein«, sagte Grau aufgeregt. »Lieber Himmel, ist das ein Chaos. Ruf Geronimo an und gib ihm die Fahrzeugnummer durch. Aber sag nicht, dass wir hier sind.«
»Gut, gut«, sagte Milan. »Da steht eine Leiter. Merk dir, wo. Wir brauchen sie vielleicht nachher.«
Grau stand an der Tür Schmiere und beobachtete das Wohnhaus im spitzen Winkel, während Milan ins Telefon flüsterte.
Das Gespräch war kurz. »Es ist tatsächlich Meikes Wagen«, sagte er dann zu Grau. »Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir versuchen es vorsichtig von außen oder wir gehen rein ins Haus.«
»Was ist sicherer?«
»Am sichersten ist: Erst Reifen zerstechen, dann ins Haus gehen.«
»Also machen wir es so«, stimmte Grau ohne Zögern zu.
»Bist du ruhig genug?«
»Ja.«
Der Regen peitschte ihnen ins Gesicht, und der Wind pfiff in den grellsten Tönen. Pfützen hatten sich gebildet, und wenn sie nicht höllisch aufpassten, platschten sie bei jedem Schritt in eine hinein. Der Himmel war pechschwarz.
»Langsam«, mahnte Milan. »Nimm deinen Colt. Schieß nur, wenn du meinst, es muss sein.«
»Ja, ja!« Grau reagierte wütend. »Machst du Meikes Wagen auch platt?«
»Aber sicher.« Milan grinste. »Denk dran, einfache Regel: Wenn ich den rechten Arm hebe und normale Hand zeige, dann ist alles okay. Wenn ich eine Faust mache, droht Gefahr.«
»Wie in Vietnam«, sagte Grau.
»Wie in Sarajevo«, verbesserte Milan. Er zerstach die Reifen auf der linken Seite des Cabriolets. Wind und Regen waren so laut, dass ein unerwünschter Lauscher das Zischen der entweichenden Luft unmöglich hören konnte. Sie schlüpften wieder hinaus.
Milan ging voran und machte eine kreisende Bewegung mit dem rechten Arm. Sie bewegten sich langsam und in gespannter Erwartung. Die Lichter in den beiden Fenstern brannten noch immer. Die beiden Männer kamen an die Querseite der Eingangstür. Milan stellte sich dicht davor und lauschte eine Weile. Dann machte er sich an den Reifen des Mercedes zu schaffen, bevor er weiterschlich.
Schließlich landeten sie in einem verwilderten Garten, in dem kniehohes Gras wucherte. Hier endete das Wohnhaus, und die Scheune begann. Plötzlich wuchs ein dichtes Holundergestrüpp vor ihnen auf und sie krochen um das Monstrum herum. Auf der nach hinten gelegenen Scheunenseite war altes Holz gestapelt.
»Wir probieren es durch die Scheune«, schlug Milan vor. »Da muss es eine Verbindungstür geben. Bauernhäuser sind alle gleich, es gibt immer Durchlässe. Schöner Hof.«
»Wie im Bilderbuch«, stimmte Grau ihm zu. »Es wird langsam heller.«
»Nicht mehr reden jetzt!«, befahl Milan.
Sie bogen um die Ecke der Scheune und schlüpften wieder durch die kleine schmale Tür. Milan stieg in das Cabriolet und kam sogar mit einer Taschenlampe zurück. Hinter dem Auto stand eine alte Kutsche, und zwei alte Eggen und zwei Pflüge rosteten vor sich hin. Dahinter die Tenne. Rechts und links gähnte die Leere alter, ausgeräumter Ställe mit steinernen Koben.
Darüber türmten sich schon brüchig gewordene Heuballen. Milan zeigte wortlos hinauf, deutete dann hinter sich, und Grau begriff sofort. Er holte die alte Holzleiter. Sie war etwa fünf Meter lang und er hatte Mühe, sie an all den Gerätschaften so geräuschlos wie möglich vorbeizuschleppen.
Mit Milans Hilfe lehnte er sie gegen das Gebälk; Milans Schatten turnte blitzschnell und behende hinauf, Grau folgte etwas langsamer und weniger gewandt. Oben angelangt, krochen sie über die Heuballen auf die Wand zu, die Scheune und Wohnhaus voneinander trennte. Bis auf das Rauschen von Regen und Wind war es geradezu unheimlich still.
Sie tasteten sich bis zu einem Durchlass: Er entpuppte sich als Luke, etwa ein mal zwei Meter groß und durch eine ziemlich kompakte Tür versperrt. Zwei Riegel hielten sie fest, es gab kein Türschloss. Milan drehte sich um und grinste erfreut: wenigstens ein Schlupfloch. Dann leuchtete er mit der Taschenlampe die Tür ab, hob plötzlich die Faust, löschte das Licht und verschwamm mit der Dunkelheit.
Eine Weile verharrten sie vollkommen reglos, dann knipste er die Taschenlampe wieder an und tastete mit ihrem Strahl die Riegel ab. Die eisernen Verschlüsse glänzten leicht: Sie waren frisch geölt. Dann glitt der Lichtkegel der Taschenlampe nach unten. Unter der Tür hindurch wanderten zwei Drähte, ein blauer und ein roter, mitten zwischen die Heuballen.
Milan bewegte sich geschickt vorwärts, bis dicht an die Drähte heran. Sie waren ganz neu, sie waren nicht einmal staubig.
Grau sah Milan an. »Was ist das?«, fragte er flüsternd.
»Sprengsatz. Heu weg! Schnell!« Milan wuchtete den ersten Ballen unmittelbar vor der Tür hoch und stemmte ihn Grau entgegen. Die Drähte verliefen im Ungewissen. Milan hob Ballen um Ballen mit Elan, aber dennoch ganz vorsichtig hoch, und Grau stapelte sie weiter hinten zu einem neuen Haufen. Die Drähte verschwanden in der Tiefe des Stalls.
Die beiden Männer bewegten sich auf die Leiter zu und kletterten geräuschlos hinunter. Die Drähte endeten in einem kleinen schwarzen Kasten, an dem ein rotes Licht aufblinkte.
»Scheiße«, fluchte Milan. »Kann nicht von Nase sein.«
»Wieso nicht?«
»Sie sagen, Nase macht Kokain und nimmt Kokain. Es ist sein Haus. Niemand legt so etwas in sein eigenes Haus. Es ist ganz neu und funktioniert durch Funk, ganz einfach, verstehst du. Keine Uhr, man kann keine Zeit ablesen.«
»Was heißt denn das im Klartext, verdammt noch mal?«
»Jemand ist draußen und wartet. Wenn er lange genug gewartet hat, drückt er auf den Knopf.«
»Wieso wartet er? Auf was?«
»Vielleicht wartet er, bis Meike raus ist. Meike darf nicht hochgehen. Vielleicht hat er nicht mit Meike gerechnet. Vielleicht ist es Sundern, vielleicht Rache für Meike.«
»Wir können den Mann nicht finden. Nicht bei dem Wetter. Wir müssen sie rausholen und wir müssen es jetzt tun.« Grau sprach stockend.
Milan schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Wir müssen erst raus und den Mann finden.«
Grau kniff die Lippen zusammen. »Das ist nicht Sundern, das kann unmöglich Sundern sein. Vielleicht ist es einfach eine Alarmanlage?« Grau hatte nicht die geringste Ahnung von Technik, aber diese Variante schien selbst dem kritischen Milan einzuleuchten. Er lenkte ein: »Schauen wir einfach mal nach. Wenn jemand draußen ist und den Knopf drücken will, hat er uns sowieso schon gesehen. Also schauen wir nach.«
Wieder ging es die Leiter hoch, mittlerweile hatte Grau das erhebende Gefühl, wie ein Wiesel auf den Sprossen zu turnen. Wieder an der Tür angelangt, schob Milan vorsichtig die Riegel zurück, und sie quietschten nicht. Dahinter war es stockdunkel. Sie befanden sich auf Höhe des ersten Stockwerks.
Irgendwo dudelte ein Radio, ein Mann sagte: »Bringt der Frau doch mal ein Bier«, ein anderer widersprach: »Kein Bier. Sie trinkt kein Bier. Sie trinkt Kaffee oder Sekt.« Eine jüngere Stimme mischte sich ein: »Es wäre schön, wenn wir ihr was zwischen die Beine tun könnten.«
Milan schaltete die Taschenlampe ein und der Strahl tastete sich einen Flur entlang bis zu einer Tür, etwa sechs Meter von ihnen entfernt, durch die matter Lichtschein drang. Davor konnte man noch rechts und links zwei weitere Türen erkennen.
Die beiden Drähte schlängelten sich an der rechten Wand entlang und verschwanden hinter einer Tür. Milan leuchtete den Flur ab. Rechts vor der Tür hing ein Bild an der Wand. Ein scheußlich kitschiger Jesus betete unter einem Heiligenschein den von schwarzen Wolken verhangenen Mond an.
Milan drehte sich zu Grau um und machte mit der rechten Hand das alte Zeichen für Waffe. Grau zog langsam den Colt aus der Tasche. Milan drückte die Klinke herunter und die Tür öffnete sich geräuschlos. Sie sahen in einen völlig leeren Raum, in dessen Mitte ein kleines Paket auf dem Boden lag. Offensichtlich Dynamitstangen, die von rotem Isolierband zusammengehalten wurden. Von diesem netten Päckchen führten zwei weitere Drähte zum Fenster und verschwanden nach draußen.
Milan schüttelte den Kopf, deutete auf das Paket am Boden und schüttelte noch einmal den Kopf. Sie machten sich vorsichtig auf den Rückzug. Als sie hinter verschlossener Tür in der Scheune auf dem Heu hockten, flüsterte Milan: »Du kannst nichts machen. Wenn du den Sprengstoff von der Zündung wegnimmst, kann es sein, dass dadurch die anderen Ladungen hochgehen. Es ist eine Ringladung, einfach und idiotensicher.«
»Wir brauchen den Mann am Drücker«, sagte Grau trocken.
Milan nickte. »Das ist aber schwer. Hier ist überall Wald und Gebüsch. Der Mann wird seinen Platz so gewählt haben, dass er genau sehen kann, wer ins Haus reingeht und wer rauskommt. Er wird so stehen, dass er die erleuchteten Fenster beobachten kann. Also ungefähr dort, wo wir hergekommen sind.«
Grau nickte. »Ich gehe dorthin zurück, okay? Und du kommst von der anderen Seite.« Er grinste matt. »Ich bin der Lockvogel: Ich bewege mich wie ein Trampel, der Mann wird mich kriegen, und du kriegst dann den Mann. Ist das gut so?«
Milan nickte und lächelte. »Du sollst die Meike kriegen«, sagte er.
»So eine verdammte Scheiße!« Grau war plötzlich verlegen. Er holte die Zigaretten aus der Tasche.
»Bist du verrückt? Nicht rauchen hier. Willst du uns alle in die Luft jagen?« Milan lachte.
»Entschuldigung«, murmelte Grau dümmlich.
»Kann sein, dass die Dollars und der Stoff hier sind«, sinnierte Milan. »Nase hat es gekriegt und hier deponiert. Irgendjemand hat zur Sicherheit die Sprengladung gebastelt. Aber vielleicht auch nicht.«
»Scheiß drauf«, sagte Grau rau. »Ich bin das Karnickel, ich gehe jetzt zur Schlange.«